Vom Urzeitsee zur Tongrube
Kennen Sie Willershausen? Nein? Dabei ist das ehemalige Ziegeleidorf mit 500 Einwohnern doch weltberühmt! Unter Geowissenschaftlern gilt die Fossillagerstätte in der Tongrube nämlich als einzigartig gut erhaltenes Zeugnis eines 3 Millionen Jahre alten Ökosystems.
Wo heute die Überreste der Tongrube liegen, befand sich damals ein kleiner See. Über 500 verschiedene Arten von Tieren und Pflanzen lebten um ihn herum. Aufgrund der speziellen sauerstoffarmen und sulfatreichen Bedingungen am Grund des Sees wurde alles, was in den See fiel, konserviert. Durch den kurz darauf einsetzenden Klimawandel während der Eiszeit veränderte sich das Ökosystem radikal. Der See verschwand. Zurück blieben unzählige in der Erde eingeschlossene Tiere und Pflanzenteile – und der Ton, den Menschen Millionen Jahre später als Rohstoff abbauten.
Die erste bekannte Erwähnung des Tonabbaus in Willershausen stammt aus dem Jahr 1595. Man kann aber davon ausgehen, dass hier auch schon vorher Ton abgebaut wurde. Der Tonabbau wurde 1977 eingestellt. Dem Dorf sieht man bis heute an, dass hier Ton abgebaut und Ziegel gebrannt wurden: Während in den meisten Dörfern der Region Fachwerkbauten in der Überzahl sind, sieht man in Willershausen auffällig viele Backsteingebäude.
Forschung und Fossilien
In den Fokus der Wissenschaft kam die Tongrube in Willershausen erstmals zu Beginn des 20. Jahrhundert. Hugo Wegel von der Universität Göttingen beschäftigte sich in seiner Dissertation intensiv mit den Fossilien aus der Tongrube. Er fiel jedoch 1914 im ersten Weltkrieg. Im Laufe der 1920er Jahre entdeckte Prof. Hermann Schmidt das Thema wieder und forschte seitdem an und in der Tongrube. Sein Schüler Adolf Straus führte seine Arbeit über Jahrzehnte fort.
Zu den spektakulärsten Funden aus dieser Zeit gehören Teile eines Mastodons, eines elefantenartigen Tieres. Unter den mehr als 60.000 weiteren Funden befindet sich unter anderem Waldmäuse, Riesensalamander und Insekten sowie unzählige Blätter und andere Pflanzenteile, deren Aderung und Farbe sogar häufig noch erkennbar ist. Aus der Vielzahl der Funde ergibt sich ein sehr genaues Bild des Ökosystems vor 3 Millionen Jahren.
Aber die Fossile ermöglichen nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern bis zu einem gewissen Grad auch in die Zukunft. Durch den aktuellen Klimawandel nähert sich das Klima wieder dem vor 3 Millionen Jahren an. Viele der Pflanzen- und Tierarten, die in der Tongrube konserviert wurden, aber seit der Eiszeit nicht mehr in Europa zu finden sind, könnten sich bei zunehmender Erderwärmung wieder dort ansiedeln.
Neueste Forschungen des Teams um Prof. Joachim Reitner vom Geowissenschaftlichen Institut der Universität Göttingen haben außerdem gezeigt, dass sich aus hydrogeologischer Sicht bis heute nichts an der Tongrube geändert hat. Das bedeutet, dass das Wasser in den Tümpeln, die heute über das Gelände verteilt sind, die gleichen Salze, Mineralien und Mikroorganismen enthält, wie der See, der dort vor 3 Millionen Jahre lag. Sichtbares – und riechbares – Zeichen dieser sauerstoffarmen Zusammensetzung sind die Schwefelpurpurbakterien. Sie sind sowohl für den schwefeligen Geruch als auch für den rosa Schimmer der Tümpel verantwortlich.
Durch Vereinsarbeit wiederbelebt
Der Tonabbau in Willershausen wurde Mitte der 1970er Jahre eingestellt. Seit 1977 gehört das Gebiet der Tongrube dem Landkreises Northeim. Es ist seitdem auch als Naturdenkmal geschützt, wurde aber lange Jahre nicht gepflegt. Erst vor etwa 10 Jahre begann der Heimatverein Willershausen e.V. sich intensiv um die Tongrube zu bemühen.
Nachdem es jahrzehntelang kaum zugänglich war, machten die Vereinsmitglieder das Gelände wieder begehbar und pflegen es bis heute. Seit 2012 ist die Tongrube sogar Geopunkt im Geopark Harz-Braunschweiger Land-Ostfalen. Der Heimatverein bietet regelmäßige Führungen über das Gelände an, stellt Fossilien aus und organisiert Veranstaltungen rund um die Tongrube. Zuletzt kamen im Februar über 200 Besucher in die Auetalhalle, um alles über die Geschichte der Tongrube, besondere Fossilien aus der Sammlung Kappen und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuhören.
Auch für die Zukunft ist der Verein voller Pläne: Beweidung könnte den Wildwuchs in der Tongrube bändigen helfen und ein Tongrubenhaus für die Unterbringung der Ausstellung und Gerätschaften mit Besucherraum, WCs und Parkplätzen soll gebaut werden. Außerdem möchte der Verein die Zusammenarbeit mit anderen Sehenswürdigkeiten in der Region wie der Römerschlacht am Harzhorn und dem Portal zur Geschichte weiter stärken.